Ich sitz im Zug und denk mir nichts
– ja, das kommt tatsächlich vor! –
Da popelt mir so ne Person
Ein „Isnochfrei?“ ins Ohr
Ignorieren hilft hier nichts,
Und so sag ich halt: „Jaja.“
Man will ja höflich sein,
Hoffentlich kommt kein Blabla;
Meine Kopfhörer auf,
Oxidier ich vor mich hin
Hab leise Lieder im Kopf
Und eigentlich nur mich im Sinn;
Doch irgendwie werd ich gestört
In meiner Selbstgenügsamkeit
Unangenehmes Kribbeln macht sich breit
Und ich merk: ich werd bestarrt.
Ein aufdringlichster Blick verharrt
Immer wieder, eindringlich,
Ne feine Art is det ja nich!?
Da mustert mich der Kerl
Von oben bis unten
Und ich frag ihn mal ganz schüchtern:
Na, haste wat jefunden?!
„Öh, ja nö, oh jöh, herrjö, nix,
aber wo wir grad dabei sind:
Also bin der Fölix.“
Ich nehm das nickend zur Kenntnis
Und blicke wiederum
Aus dem Fensterpanorama
Und ich hoff, er bleibt jetzt stumm;
Weit gefehlt. Es kommt das, was ich denke
Und das sind keine Geschenke
Aus der hohen deutschen Kunst
Der denkenden Dichter:
Dieser Kerl ist ein schlichter.
Demzufolge tut er das,
was ein Depp am besten kann:
Er fängt ein Gespräch
via Smalltalk an.
Platitüden übers Wetter folgen
Floskeln über Floskeln
Allgemeinplätze plätschern
Banalitäten blubbern
Trivialitäten trollen
Und ich frag mich leidgeprüft:
Wie kann man nur sowas wollen?!
Ich grinse freundlich brav zurück
Und frag: „Sie wollen sich unterhalten?“
Da er bejaht, möchte ich das ganze
Konstruktiv gestalten
Als Künstler seh ich das vielleicht
Ein wenig anders als er
Doch das ist nicht mein Problem
ER kam ja MIR in die Quer…
Und so fang ich eben einfach
Mit etwas Interessanten an
Ich lese gerne Menschen
Und analysiere so fortan:
„Sie sind ja nun schon Mitte 50
Und haben gut gelebt
Wie man an den Falten um den Mund
Und an den Augenwinkeln sieht;
Sie sind ein bisschen depressiv,
Ihre Stirn zeigt einen Strich
Zwischen den Augen;
Doch an und für sich
Liegt das an ihrem Temp´rament,
Sanguin und doch cholerisch,
Das sie viel zu schnell ausbrennt,
Ihre hagere Statur zeigt an
Dass Sie durchaus beweglich sind
Doch sind Ihre Finger gelb,
Also sind sie Tabakskind;
Der Krampfring in der Iris zeigt das Stresspotential,
Und auch die Längsfalte am Ohrläppchen
Ist echt suboptimal,
Geplatze Adern auf der Nase zeigen
Herzprobleme an,
Und die schlupfenden Lider…
Und wir fang´ gar nicht erst an
Von den Nieren, denn die Knöchel sehen
Echt geschwollen aus
Doch das kommt wohl von der Leber
Die schaut überlastet aus
Denn der Hautton ist leicht gelblich
Und ich seh Bilirubin
Im Augenweiss, sag´n se,
Haben sie im Rucksack
Etwa 2,3 Bierchen drin? Ja?
Die Lippen eingerissen,
Und Rhagaden links und rechts
Sieht so aus, als steh es um den Eisenspiegel
Eher schlecht als recht
Sie können aktuell nicht schlafen,
Das sieht man ihren
Augenschatten an
Und die Verdauungsprobleme
Zeigen Ihre Wangenfalten an;
Ihre Zunge sagt mir
– oder vielmehr der Belag –
dass die Dünndarmflora wiederholt Probleme hat
Das kommt bestimmt von der Gastritis,
Magengraben auf der Zunge
Ihr tiefer Husten zeigt mir einen
Leichten Schaden an der Lunge;
Ich rate Ihnen dringlich
Das Rauchen aufzugeben
Denn sonst werden Ihre Nebennieren
Nicht mehr lange überleben.
Da Sie Ihre rechte Schulter
Tiefer ziehen als die linke
Ist die Hüfte wohl blockiert,
Arthroseschaden inclusive,
Die Gelenke korrodiert;
So unruhig, wie Sie sitzen,
Ham´ Sie bestimmt Hämorrhoiden;
Sagen Sie, ist Ihre Prostata bislang
Noch von Krebs verschont geblieben?
An den Fingern seh´ ich Knötchen
Also ist die Gicht schon da
Ihre Harnsäurewerte waren auch schon besser, wa?
Der Blutdruck ist zu hoch,
Das sagen mir die roten Ohr´n
Aber mei, dann hat Ihr P***s
Die Erektionsfunktion noch nicht verloren…
Man soll ja auch für die kleinen Dinge
Im Alltag dankbar sein.
Wo wir schon mal dabei sind,
da fällt mir was zum Enddarm ein…
Aber halt, guter Mann,
Wo wollen Sie denn hin?
Hatten Sie denn nicht mit mir
Ein Flirtgespräch im Sinn…?